Bundesministerium streicht Würzburg ab 2025 die Förderung von „Demokratie leben!“

Hunderte von Präventionsprojekten gegen Radikalisierung stehen vor dem Aus

Neun junge Menschen wurden am 19. Februar 2020 in Hanau aus rassistischen Motiven ermordet. Eine große Ausstellung im Würzburger Kulturspeicher hat erst in diesem Herbst den rassistischen Terroranschlag beleuchtet, Versäumnisse aufgedeckt, aktuelle Erkenntnisse aufgezeigt und Zusammenhänge dargestellt. Die vielbeachtete Ausstellung war eines von geschätzt 450 Projekten in Würzburg, die in 13 Jahren über die Förderung von „Demokratie leben!“ umgesetzt werden konnten. Die bekannte Würzburger Woche gegen Rassismus, die Anne-Frank-Ausstellung, auch Formate wie die „Bunten Wände für den Heuchelhof“, Konzerte, Lesungen, Theateraufführungen, der Christopher Street Day, die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Yehuda Amichai oder auch die Begleitung bei der Konzeption von Aktionen von Migrantenselbstorganisationen sind weitere Beispiele von Projekten Ehrenamtlicher aus der Zivilgesellschaft, die über „Demokratie leben!“ gefördert wurden. Ihnen allen gemein ist die Zielsetzung des Bundesfördergebers: Demokratie fördern, Vielfalt gestalten, Extremismus vorbeuge und Radikalisierungsprozesse unterbrechen oder vorbeugen. Insgesamt wurden allein im Förderzeitraum 2020 bis 2024 in Würzburg an die 100.000 Personen erreicht. Jetzt stehen alle diese für den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft essentiell wichtigen Projekte vor dem Aus. Das Bundesministerium für Familie hat Würzburg neben weiteren bayerischen Städten die Förderung komplett gestrichen.

Zweieinhalb Monate vor Jahresende erreichte die hiesigen Träger, diese sind die Stadt Würzburg und das Bündnis für Demokratie und Zivilcourage, die kurz gefasste lapidare Nachricht ohne Begründung. 160.000 Euro staatliche Fördergelder werden damit im kommenden Jahr nicht in die Projekte von Würzburger Vereinen und Organisationen fließen können, die fest mit einer Förderung gerechnet hatten. Akteure wie pics4peace, die JuKu-Karawane, Hermine e.V., Malteser Hilfsdienst, die Gemeinschaft Sant’Egidio, der Förderverein Jugendzentrum Heuchelhof, die Studentische Kulturinitiative, die Inklusive Akademie, Omas gegen Rechts und wie sie alle heißen, die zahlreichen Vereine, Zusammenschlüsse und Organisationen, die sich für Demokratie und gegen Rassismus engagieren, werden damit ihre jetzt schon in der Planung befindlichen Aktionen überdenken wenn nicht sogar streichen müssen.

„Diese kurzfristige Entscheidung ist für alle Menschen, die sich in Würzburg ehrenamtlich für die Demokratie engagieren, ein harter Einschnitt“, sagt Sozialreferentin Dr. Hülya Düber. „Eine solch kurzfristige Mitteilung zieht der wichtigen Netzwerkstruktur und den vielen für die Demokratie engagierten Organisationen in Würzburg für sämtliche Formate des nächsten Jahres regelrecht den Boden unter den Füßen weg. Unsere Demokratie muss jeden Tag mit Leben gefüllt werden und braucht Menschen, die sie leben und kraftvoll Rassismus, Antisemitismus, Hass und Menschenfeindlichkeit entgegentreten.“ Über die Jahre hinweg hätten sich einzigartige Strukturen rund um „Demokratie leben“ gebildet, bekräftigt Burkhard Hose vom Bündnis für Demokratie und Zivilcourage. „Wir wissen nicht, wie es nach Dezember weitergeht, zwei unserer Mitarbeitenden sind dann ohne Perspektive. Das Streichen der Förderung wirkt sich auch personell aus, noch dazu aufgrund der Kurzfristigkeit der Nachricht.“ Der Integrationstopf, mit dem die Stadt Würzburg bislang parallel kleinere Projekte unterstützt, wird die hohe Bundesförderung auf keinen Fall auffangen können.

Oberbürgermeister Christian Schuchardt kündigt an, sich mit den Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern der anderen betroffenen bayerischen Städte (Nürnberg, Erlangen, Augsburg, Bamberg, Landkreis Bayreuth, etc.) direkt an das Bundesfamilienministerium zu wenden, um die Wichtigkeit der Förderung für das kommunale demokratische Fundament zu betonen und um eine weitere Aufnahme in die Förderung zu ersuchen. „Die langfristigen Auswirkungen einer Streichung dieser Förderung auf die Stadtgesellschaft werden brisant sein. Der Staat kann es sich nicht leisten, Engagement für die Demokratie zurückzufahren. Gerade heute nicht. Dies läuft den aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen in Deutschland komplett entgegen und ist für mich völlig unverständlich.“

Das Fördersystem von „Demokratie leben!“ sieht ein jährliches Ausschreibungsverfahren vor, für das sich die Städte bewerben müssen. Es folgt eine Genehmigung zur Antragstellung und am Ende der Förderphase, die bislang vier bis fünf Jahre umfasste, eine erneute Interessenbekundung. Würzburg lagen, wie in den letzten 13 Jahren, positive Signale zu einer weiteren Förderung vor. Aus welchen Gründen die Förderung nun gestrichen wurde, wurde den Partner Bündnis für Demokratie und Zivilcourage und Stadt Würzburg nicht mitgeteilt.


(17.10.2024)

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