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Würzburg ehrt den „Poeten der Erinnerung“

Festakt zum 100. Geburtstag des israelischen Nationaldichters Yehuda Amichai

Hana Amichai trägt sich in das Goldene Buch der Stadt Würzburg ein
Hana Amichai trägt sich in das Goldene Buch der Stadt Würzburg ein
Foto (c): Claudia Lother

Jedes Kind in Israel kennt Yehuda Amichai. Seine Gedichte und Schriften sind fester Bestandteil und Inhalt von Schulbüchern und kursieren im öffentlichen Leben als Zitate. Komponisten entdeckten ihn als Autor für Vertonungen, Kinder- und Jugendchöre singen diese Lieder. Amichai, der als erster in umgangssprachlichem Hebräisch geschrieben hat, wurde für sein Lebenswerk mehrfach für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Der Lyriker gilt als einer der meistgelesenen und bedeutendsten modernen israelischen Dichter und erhielt 1982 die höchste israelische Auszeichnung, den Israel-Preis. Geboren als Ludwig Jehuda Pfeuffer am 3. Mai 1924 in eine jüdisch-orthodoxe Familie in Giebelstadt, verstarb er am 22. September 2000 in Jerusalem. 1936 wanderte die Familie nach Palästina aus und zog ein Jahr später nach Jerusalem, wo sich Ludwig Pfeuffer im Alter von 22 Jahren den Namen Amichai gab, auf Hebräisch: „Mein Volk lebt“. Jetzt feiert Würzburg den Lyriker mit einer Festwoche und einem Festakt im Rathaus der Stadt.

Würzburg, immer wieder Würzburg

In Deutschland schien er kaum gekannt zu sein – bis es zu vermehrten Übersetzungen seiner Werke ins Deutsche kam und Würzburg begann, sich seinen berühmten israelischen Sohn in Erinnerung zu rufen, besser: ihm die Arme entgegen zu strecken, wie es Oberbürgermeister Christian Schuchardt bei einem Festakt mit geladenen Gästen aus Israel im Ratssaal der Stadt Würzburg formulierte. 1981 zeichnete die Stadt Würzburg Amichai mit dem Kulturpreis aus, die deutsche Übersetzung des Romans „Nicht von hier, nicht von jetzt“ wurde 1992 im Würzburger Rathaus gemeinsam von Amichai und seinem Verleger präsentiert, 2005 wurde der Straßenabschnitt im Würzburger Ringpark zwischen dem Studentenhaus/Friedrich-Ebert-Ring und dem Sanderring Yehuda Amichai gewidmet, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit hält seinen Namen in der Öffentlichkeit seit seinem Tod mit Veranstaltungen wach, „Würzburg liest ein Buch“ legte 2017 eine Neuausgabe des wichtigen Romans „Nicht von hier, nicht von jetzt“ auf, Gedichte und Sammlungen seiner Texte wurden publiziert und nun erscheint eine bereits in erster Auflage vergriffene Festschrift zum 100. Geburtstag in deutscher, englischer und hebräischer Sprache. Die Festwoche vom 12. zum 16. Mai 2024 anlässlich seines 100. Geburtstages ehrt ihn mit Ausstellungen, mit Vorträgen, Rundgängen, Interviews, Lesungen, Konzert, Performance, einem Lyrikabend und einer Podiumsdiskussion. Höhepunkt der Festwoche war der Festakt im Rathaus mit geladenen Gästen.

„Diese Verbindung“, so Würzburgs Oberbürgermeister Schuchardt, „zwischen Würzburg und Amichai wird kontinuierlich fortgesetzt und mit dieser großen Geburtstagsfeier setzen wir ein Zeichen dafür wie Literatur über alle Grenzen und vermeintliche Unterschiede hinweg uns Menschen dieser Welt vereinen kann. Ein Zeichen dafür, dass Nachdenklichkeit und Liebe, zwei wesentliche Motive in Amichais Werk, in unseren Herzen ihren Platz nicht verlieren sollten.“ „Nicht von hier, nicht von jetzt“ – aber gerade jetzt hier: Oberbürgermeister Christian Schuchardt dankte in Anspielung an den Titel des berühmten Romans Amichais Witwe Hana und den beiden Kindern Emanuella und David dafür, in Würzburg den Feierlichkeiten zu Yehudas 100. Geburtstag beizuwohnen. Dabei kündigte er auch an, dass Würzburg im Herbst zum ersten Mal den Yehuda-Amichai-Literaturpreis für herausragende literarische Werke zur jüdischen Kultur vergeben wird, dotiert mit 15.000 Euro und vom Zentralrat der Juden unterstützt.

„Yehuda hat komplexe Gedanken und Gefühle in wunderbar einfache Sätze kleiden können“, sagt Hana Amichai über ihren verstorbenen Mann. Ohne viel zu sagen, habe er nichts ungesagt gelassen. Für sie, so Hana Amichai, schließe sich hier in Würzburg ein Kreis: Yehuda sei auch in Jerusalem weiter Würzburger geblieben und die beiden Städte hätten sein Schreiben beeinflusst. Der Fluss, der Wald, wo immer sie in seinen Bildern von Jerusalem auftauchten, da seien es Erinnerungen an Würzburg. Voller Humor und Liebe für die Menschen sei der Vater gewesen, erinnerte sich beim Festakt Tochter Emanuella, und gab Einblicke in sein Leben: „Laufen war ein Teil seines Lebens, es war nicht nur ein physisches, sondern auch ein emotionales Laufen, das Vergangenheit und Gegenwart, das Dies- und das Jenseits miteinander verband. Das Innere nach Außen zu wenden, das war seine Art zu leben.“ Sohn David Amichai gestand, sich in Würzburg, das den Vater 1981 schon mit großer Wärme willkommen geheißen habe und das der Vater den Kindern 1991 gezeigt habe, mit jedem Aufenthalt hier „mehr Zuhause“ zu fühlen - nicht nur wegen des Spargels und der Schlachtplatte, meinte er und vielleicht blitzte hier ein wenig der geerbte Humor des Vaters durch, denn: „Ich spüre hier die Präsenz des Vaters und wenn ich vor diesem Gemälde im Ratssaal der Stadt stehe, dann sehe ich hier auch die Hoffnung, die das Werk meines Vaters durchströmte.“ Hoffnung auch für den Nahen Osten. Und so hatten die Gäste Geschenke nach Würzburg gebracht, wie einen „Schutzengel“, den sie an der Hebräischen Universität von Jerusalem arabischen und jüdischen Studenten überreichen und damit zu Verständigung untereinander aufrufen.

Beim Festakt schwebte der Geist Amichais deutlich über allem: Seine Worte spenden auch heute noch und gerade nach dem 7. Oktober Trost in dunklen Zeiten. „Auch wenn es jetzt schwerfallen mag, an diplomatische Lösungen zu glauben, wir brauchen jetzt mehr denn je Menschen, die diesen Glauben nach einem tragfähigen Frieden im Nahen Osten noch nicht verloren haben und den Weg bereiten für ein menschenwürdiges und sicheres Leben beider Zivilbevölkerungen, für Israelis und die Menschen in Gaza gleichermaßen“, so Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden,m der hier doch nur „als Würzburger“ sprach. Schuster bekannte ebenfalls,Trost aus den Worten Amichais zu empfangen: „Amichais Roman ‚Nicht von jetzt, nicht von hier‘ wurde für mich zum Begleiter und ich ziehe nicht selten Amichais Gedichte heran, wenn ich eine Atempause brauche, wenn ich mir mithilfe seiner Worte den Zugang zu meinen eigenen Gefühlen erleichtern möchte“, bekannte er und bezeichnete Amichais Poesie als „Poesie der Erinnerung schlechthin“. Den verzweifelten und einsamen Jüdinnen und Juden dieser Tage widmete er Yehuda Amichais „Endloses Gedicht“.

Der Bürgermeister von Jerusalem, Moshe Lion, sendete bei dieser Gelegenheit per Videobotschaft einen Gruß nach Würzburg und Glückwünsche zu Amichais 100. Geburtstag mit dem Zitat eines Gedichts von Amichai. Die Generalkonsulin des Staates Israel aus München, Talya Lador-Fresher bezeichnete Amichai in ihrer Rede auf Hebräisch und Englisch als ihren bevorzugten Dichter, der Atmosphäre und Gefühl umfasse. Burkard Hose präsentierte schließlich noch stellvertretend für seine beiden Mitautoren Daniel Osthoff und Yona-Dvir Shalem die Festschrift „Auf meinem Tisch liegt ein Stein“. Die erste Auflage ist bereits vergriffen, eine zweite angekündigt. Mit Flöte und Klavier wurde der Festakt von Rahel Blokh und Waka Yamada atmosphärisch begleitet.


(15.05.2024)

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